Völkerverständigung durch Literatur – Lesung mit Donata Kinzelbach im Rahmen der Maghreb-Kulturtage 2018

Als Kultur (lat. cultura: Pflege, Landbau) bezeichnet man in der Wissenschaft und in der Alltagssprache eine ganze Reihe von höchst unterschiedlichen Phänomenen. Dazu gehören neben u.a. Kunst und Technik, Wissenschaft und Religion, Recht und Wirtschaft auch Literatur.

Umso größer war die Freude, im Rahmen der Maghreb-Kulturtage vom 11.12. bis 15.12.2018 mit Donata Kinzelbach die Grande Dame der Maghreb-Literatur in Hamburg begrüßen zu dürfen. Nach dem Studium der vergleichenden Literaturwissenschaften gründete 1987 in Mainz den Donata Kinzelbach Verlag, der sich auf die Herausgabe von Literatur aus dem Maghreb – also Algerien, Marokko und Tunesien – in deutscher Übersetzung spezialisierte. Im Jahr 2008 wurde Donata Kinzelbach von Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz zuerkannt “für über 20 Jahre Vermittlung zwischen Kulturen und Kulturkreisen” (Jens Beutel, Oberbürgermeister der Stadt Mainz). Am 13.12. gastierte die bescheidene und warmherzige Frau mit einem eindrucksvollen Leseabend in den Räumlichkeiten von „Die Paritätische Wohlfahrtsverband Hamburg e.V.“ und nahm die Gäste auf eine spannende Reise durch die Themen und Lebenswelten des Maghreb und seiner Autorinnen und Autoren mit.

Gestrandet – Ein Flüchtlingsroman aus Marokko

Viele Afrikaner lassen beim Versuch, illegal nach Europa einzureisen, ihr Leben. Über ihre Motive und Hoffnungen ist in der Berichterstattung jedoch nur wenig zu lesen. Der marokkanische Schriftsteller Youssouf Amin Elalamy (*1961) gibt ihnen in seinem Buch “Gestrandet” eine Stimme. Schließlich habe die Literatur die Macht, die menschliche Dimension solcher Ereignisse in den Vordergrund zu rücken, sagt der 1961 geborene marokkanische Autor. Und so startete Donata Kinzelbach ihren Streifzug durch die Literatur des Maghreb mit Auszügen aus dem unter die Haut gehenden Roman über den Untergang eines Flüchtlingsbootes im Mittelmeer. Damit griff sie ein Thema auf, dass zwar nicht erst seit 2015 aktuell ist, von dem die Gäste aber alle auf die unterschiedlichste Weise persönlich betroffen sind. Dabei berührte nicht nur die tragische Geschichte der dreizehn Protagonisten, zwölf Männer und eine schwangere Frau, sondern auch die sehr sensible und poetische Sprache, mit der Elalamy die Ereignisse beschreibt. Elalamys Buch wurde in seiner Heimat mit dem Prix Grand Atlas Maroc ausgezeichnet.

„Mimi und Aicha“: Eine marokkanische Jugend in Europa

Nach der Lesung aus dem bewegenden Flüchtlingsdrama stellte die Verlegerin den 2009 in deutscher Sprache erschienenen Roman „Mimi und Aicha“ von Mina Oualdlhadj in Auszügen vor. In dem Werk beschreibt die in Autorin humorvoll das Leben zweier Frauen marokkanischer Herkunft, die in Belgien ihre Erfahrungen machen, so wie viele junge Leute, die mit zwei Kulturen aufwachsen, den Traditionen der Eltern in ihrem Heimatland und dem modernen Leben in Europa. Ein Buch voller Zweifel und Hoffnung, Emotionen und Selbstironie, das nicht nur auf den eigenen Erfahrungen der Schriftstellerin beruht, sondern in dem sich viele der Anwesenden wiederfanden.

„Ausgeblendet“ – ein Roman über den Algerienkrieg

Anschließend fesselte Donata Kinzelbach die Gäste mit Szenen aus dem Roman „Ausgeblendet“ von der algerischen Schriftstellerin Maïssa Bey (*1950 in Ksar el Boukhari) – ein kurzer, aber in seiner emotionalen Genauigkeit beeindruckender Roman, der von der zufälligen Begegnung dreier Menschen in einem Zug erzählt. Ein ehemaliger französischer Soldat trifft auf eine Algerierin, deren Vater im Unabhängigkeitskampf von den Franzosen verhaftet und ermordet wurde. Dieses Aufeinandertreffen von Täter und Opfer wird von der in französischer Sprache schreibenden Autorin mit einer faszinierenden psychologischen Genauigkeit dargestellt, die den Leser betroffen, aber nicht hoffnungslos zurücklässt.

„Stern von Algier“ – Ein Musikerschicksal zwischen Tradition und Moderne

Abschließend las die Literaturliebhaberin Passagen aus dem Roman „Stern von Algier“ von Aziz Chouaki (*1951), ein aufwühlender Musik-Roman, der anhand einer Biografie die politische Situation der 1990er Jahre darstellt. Auf der Flucht vor der immer stärker werdenden „Islamischen Heilsfront“, die die völlig neue Musik des 36jährigen Protagonisten Moussa Massy zwischen Rock und Maghreb als Werk des Teufels betrachten, kommt es zu einer tödlichen Auseinandersetzung. Der Musiker, der davon träumte, der Michael Jackson von Algier zu werden, wird zu 25 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis mutiert der einstmals weltoffene und liberale Hitparadenstürmer zu einem strenggläubigen Moslem, der den Dschihad als einzig wahren Weg akzeptiert. Durch die – vermeintliche – Distanz ermöglicht der algerische Autor, der zu den kreativsten der frankophonen Gegenwartsliteratur zählt, dass der Leser ein eigenes Bild entstehen lassen kann. Dabei wird die Sprache durch Sätze dominiert, die rasant – fast schon staccatoartig – daherkommen.

Im Anschluss an die Lesung stand die Verlegerin für Fragen aus dem Publikum zur Verfügung. Musikalisch abgerundet wurde der literarische Brückenbau zwischen dem Maghreb und Deutschland von Adam Saidani (Oud und Geige) und Dr. Ibrahim Katbiel (Trommel).

Neugierig geworden? Die vorgestellten Romane können direkt bestellt werden unter http://www.kinzelbach-verlag.de/bestell.htm

Gestrandet; Elalamy, Youssouf Amine; aus dem Französischen von Barbara Gantner; 2015 Donata Kinzelbach Verlag; ISBN 978-3-927069-91-6; 145 S.; Euro 18,00

Mimi und Aïcha: Eine marokkanische Jugend in Europa; Oualdlhadj, Mina; aus dem Französischen von Addi Wild; 2009 Donata Kinzelbach Verlag; ISBN: 978-3-927069-94-7; 148 S.; Euro 18.00 

Ausgeblendet; Bey, Maïssa, aus dem Französischen von Christine Belakhdar, 2011 Donata Kinzelbach Verlag, ISBN: 978-3-942490-06-1; 88 S.; Euro 16,00

Stern von Algier; Chouaki, Aziz; aus dem Französischen von Barbara Gantner, 2011 Donata Kinzelbach Verlag, ISBN: 978-3-927069-92-3, 198 S., Euro 18,00