Der 8. Mai 1945 im algerischen Gedächtnis – 80 Jahre danach: Ein Abend der Erinnerung, Reflexion und kulturellen Begegnung
, Am Samstag, den 31. Mai 2025, verwandelte sich das ehrwürdige Kulturschloss Wandsbek in eine Bühne der Erinnerung, der Reflexion und des kulturellen Austauschs. Anlässlich des 80. Jahrestages des 8. Mai 1945 – eines Datums, das in Europas Geschichte für das Ende des Zweiten Weltkriegs steht und in Algerien zugleich die blutige Repression friedlicher Demonstrationen markiert – luden das Maghreb Haus e.V. und der Deutsch-Algerischen Kulturverein e.V. zu einem bewegenden und vielschichtigen Abend ein.
Von 18:30 bis 23:30 Uhr entfaltete sich ein facettenreiches Programm, das weit über ein bloßes Gedenken hinausging. Es war eine lebendige Reise durch Geschichte, Literatur und Musik, die die bleibende Relevanz vergangener Ereignisse für unsere Gegenwart auf eindrucksvolle Weise verdeutlichte. Themen wie Frieden, Freiheit, Rassismus, Kolonialismus und die Bedeutung des interkulturellen Dialogs zogen sich als roter Faden durch den gesamten Abend.
Eine Bühne für Dialog, Erinnerung und Verständigung
Bereits beim Betreten des Kulturschlosses war die besondere Atmosphäre spürbar. Menschen unterschiedlichster Herkunft kamen zusammen, vereint durch das Bedürfnis, gemeinsam zu erinnern, zu lernen und Brücken der Verständigung zu bauen. Der Eintritt war frei – ein bewusst gesetztes Zeichen für Offenheit und Teilhabe. Die Gäste wurden traditionell mit aromatischem Minztee begrüßt.
Die Moderation des Abends übernahmen souverän Amir Hallouane und Jutta Höflich, Vorstandsmitglied des Maghreb Haus e.V. Sie führten das Publikum kenntnisreich und mit großer Empathie durch die Programmpunkte.
Historischer Kontext – Der doppelte Blick auf den 8. Mai 1945
Amir Hallouane eröffnete den Abend mit einer herzlichen Begrüßung und einer Einführung in das Thema. Als junger Mann mit deutsch-algerischen Wurzeln skizzierte er eindrucksvoll die historische Ambivalenz dieses Datums: Während in Europa der 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus gefeiert wird, ist er in Algerien untrennbar mit dem Massaker von Sétif, Guelma und Kherrata verbunden – ein Wendepunkt in der Geschichte des Landes.
Mit einer Schweigeminute gedachte das Publikum der Opfer von Krieg, Kolonialgewalt und Unterdrückung. Eine stille, aber kraftvolle Geste der Verbundenheit.
Im Anschluss übernahm Dr. Djelloul Aroui das Wort und präsentierte einen tiefgründigen Vortrag über die historische Bedeutung des 8. Mai 1945 aus algerischer Perspektive. Er erläuterte, wie die Kolonialmacht Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg die Unabhängigkeitsbestrebungen der Algerier brutal unterdrückte, obwohl viele Algerier zuvor auf Seiten der Alliierten gekämpft hatten. Dr. Aroui betonte, dass die blutige Niederschlagung friedlicher Demonstrationen am 8. Mai 1945 den Beginn einer neuen Phase des algerischen Befreiungskampfes markierte, der letztlich in den Algerienkrieg und die Unabhängigkeit 1962 mündete.
Er zeigte auf, wie Algerien nach der Unabhängigkeit zu einer führenden Stimme im antikolonialen Afrika wurde: als Gründungsmitglied der Organisation für Afrikanische Einheit (1963), als Gastgeber revolutionärer Bewegungen in den 1960er- und 1970er-Jahren und durch seine symbolische Geste, im Jahr 2013 Schulden in Milliardenhöhe für 14 afrikanische Staaten zu erlassen.
Sein Appell zum Schluss war eindringlich: Nur durch das gemeinsame Erinnern und die ehrliche Aufarbeitung kolonialer Geschichte könne ein friedliches Miteinander gestaltet werden.
Zwischen dem historischen und dem literarischen Teil sorgte Khayrullo Dadoboev mit seinem virtuosen Spiel auf der Rahmentrommel für eine eindrucksvolle musikalische Pause.
Literatur als Spiegel und Vermittlerin der Erinnerung
Der literarische Teil wurde von Jutta Höflich moderiert, die mit viel Wertschätzung die Grande Dame der Maghreb-Literatur, Donata Kinzelbach, dem Publikum vorstellte. Sie würdigte ihr jahrzehntelanges Engagement für den interkulturellen Dialog und erinnerte an die zahlreichen Auszeichnungen, die Donata Kinzelbach erhalten hat – darunter das Bundesverdienstkreuz (2008), der Integrationspreis sowie der Deutsche Verlagspreis (2024).
Im Mittelpunkt stand die Buchpremiere des Werks „8 mai 1945 – Le tournant historique et la littérature“ von Isabella von Treskow, erschienen im Verlag Donata Kinzelbach. Das Buch, entstanden in Kooperation mit den Universitäten Clermont Auvergne (Frankreich), Mouloud Mammeri Tizi-Ouzou (Algerien) und Regensburg (Deutschland), beleuchtet die literarische Aufarbeitung des 8. Mai 1945 in Frankreich, Deutschland und den Maghrebstaaten.
Donata Kinzelbach las ausgewählte Passagen aus dem Werk – literarische Reflexionen, politische Manifeste, autobiographische Texte, Gedichte und Comics –, die die emotionale und politische Vielschichtigkeit dieses Datums eindrucksvoll offenbarten. Ihre Lesung war nicht nur ein literarischer Höhepunkt, sondern auch ein eindrucksvolles Plädoyer für kulturelle Erinnerung und Verständigung.
Klangreise durch die Seele Algeriens
Musikalisch wurde der Abend von einem hochkarätigen Trio gestaltet: Rachid Haroun verzauberte mit seiner algerischen Mandola und traditionellen Liedern über Liebe und Sehnsucht. Begleitet wurde er von Yacine Kerrar an der Darbuka und Jugourtha Amari an der Tar. Gemeinsam schufen sie eine Atmosphäre, in der Musik zur universellen Sprache wurde – berührend, verbindend und voller Seele.
Kulinarische Begegnungen und kultureller Austausch
Ein weiterer Höhepunkt war die kulinarische Umrahmung des Abends. Die Gäste wurden mit maghrebinischen Spezialitäten wie Oliven-Tajin, Harira, traditionellem Gebäck und aromatischem Minztee verwöhnt. In entspannter Atmosphäre kamen Menschen ins Gespräch, tauschten sich aus und erlebten gelebte interkulturelle Begegnung.
Fazit: Gemeinsam erinnern, verstehen und gestalten
Der Abend war ein voller Erfolg – inhaltlich, organisatorisch und emotional. Er zeigte eindrucksvoll, wie wichtig es ist, gemeinsam zu erinnern, voneinander zu lernen und die Zukunft im Geiste des Verständnisses, des Respekts und der Vielfalt zu gestalten. Die Veranstaltung war ein starkes Zeichen dafür, dass Geschichte nicht in der Vergangenheit endet, sondern in jeder Begegnung, jedem Gespräch und jeder Geste weiterlebt.
Ein herzliches Dankeschön geht an alle Beteiligten für diesen gelungenen Abend!
Mein besonderer Dank gilt den Musiker Rachid Haroun, Yacine Kerrar, Jugourtha Amari und Khayrullo Dadoboev für ihre mitreißende Darbietung – sowie Donata Kinzelbach für ihre eindrucksvolle Lesung und literarische Expertise.
Mein herzlicher Dank an Bouchra Sabil und ihr Team für die liebevoll zubereitete, wunderbare Harira und das traditionelle Gebäck – eure Anwesenheit, Herzlichkeit und Großzügigkeit haben den Abend sehr bereichert!
Ein großes Dankeschön auch an mein engagiertes Team für die tolle Unterstützung: Amir Hallouane, Jutta Höflich, Bouchra Sabil, Mourad Bekakcha, Mohamed Ghazli, Dr. Taha Hatcha, Youcef Badjadi und Salaheddine Boumendjel.